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„Märkte sind Gespräche“: Content-Marketing braucht persönliche Anziehungskraft

Written by
Jörg Lenuweit
Content Strategist, Archetype

Content-Marketing zählt mittlerweile zum Standard-Repertoire der Kommunikation im Digitalzeitalter. Doch angesichts des Überangebots an Content stellen sich Unternehmen und Marken die Frage, wie sie zu ihren Zielgruppen durchdringen können. Eine mögliche Antwort lautet: Indem sie die vertrauensstiftende Qualität persönlicher Gespräche in ihre Content-Strategie einbringen. Das funktioniert aber nur, wenn sich die Markenbotschafter ihren persönlichen Zugang zu ihren Themen und ihre eigene Stimme bewahren.

Content-Marketing hat sich in der Praxis überaus erfolgreich verbreitet, ja mitunter die Hauptrolle im Marketing-Mix übernommen. Laut der Content-Marketing-Trend-Studie von Statista wollen Unternehmen zukünftig noch mehr Inhalte produzieren. Allerdings hat dieser Trend seine Tücken, wie Mark Schaefer in seinem Beitrag  „Content Shock: Why content marketing is not a sustainable strategy“ herausgearbeitet hat: Immer mehr Content-Angebote treffen auf eine gleichbleibende Nachfrage. Der Wettbewerb steigt, die Wahrscheinlichkeit, die Zielgruppe damit zu erreichen, sinkt. Es sei denn, man investiert immer mehr Geld in entsprechendes Targeting.

Schaefer gewinnt dem Trend auch positive Aspekte ab: Die Unternehmen müssen zwangsläufig noch bessere Inhalte produzieren, um durchzudringen. Also gut für den Konsumenten.

Eine andere, vielversprechende Möglichkeit besteht für Unternehmen darin, ihre Inhalte persönlicher zu gestalten und die Beziehungsebene ins Spiel zu bringen. In der ursprünglichen Diskussion rund um das Content-Marketing kommt dieser Aspekt seltsamerweise nicht vor. So auch nicht in der Definition des Gründers des Content-Marketing-Instituts Joe Pulizzis:

“Content marketing is a strategic marketing approach focused on creating and distributing valuable, relevant, and consistent content to attract and retain a clearly defined audience — and, ultimately, to drive profitable customer action.”

„Märkte sind Gespräche“

Liest man Pulizzis Bestimmung heute aufmerksam durch, beschleicht einen das Gefühl, dass hier etwas Wichtiges fehlt. Wer spricht eigentlich mit wem? Marken mit Zielgruppen? Wer möchte schon Zielgruppe sein? Und wer möchte mit einer Marke kommunizieren?

Was in der ursprünglichen Ausrichtung des Content-Marketings außen vor bleibt, ist das Persönliche. Hat man sich nicht schon in den Zeiten der New Economy um die Jahrtausendwende auf das Ende der einseitigen Kommunikation geeinigt? Die Auslassung des Persönlichen, des Beziehungsaspekts missachtet die Basis-Postulate des Cluetrain-Manifestes (1999!): 1. Märkte sind Gespräche. 2. Die Märkte bestehen aus Menschen, nicht aus demographischen Segmenten…

Ergo: Die Mitarbeiter*innen sind es, die mit den Kunden ins Gespräch kommen sollen.  Auf dem Markt sind sie die wahren Beziehungsstifter für eine Marke. Und sie tun das mit einer Art nativem Content-Marketing: Indem sie ihr (tiefreichendes) Wissen, ihre Erfahrungen und ihre Gründe teilen, Fragen beantworten, Hilfe anbieten, Tipps geben. All das auf ihre ganz persönliche Art. (3. Cluetrain-Postulat: „Gespräche zwischen Menschen klingen menschlich. Sie werden in einer menschlichen Stimme geführt.“)

Das macht die Expert*innen im Unternehmen zu Markenbotschaftern und damit zu den prädestinierten Protagonisten des Content-Marketings. Wenn es gelingt, deren Offline-Qualitäten als authentische, engagierte und fachlich versierte Beziehungsstifter in die Online-Welt und auf ihre sozialen Plattformen zu übertragen, dann werden aus ihnen Corporate-Influencer. Und Corporate-Influencer gehören heute zu den interessantesten Assets der Kommunikation.

Allerdings müssen die Kommunikationsabteilung diese neuen Content-Marketing-Held*innen gründlich auf ihre Aufgabe vorbereiten: Wenn sie online aktiv werden sollen, müssen sie die Werkzeuge, Prozesse und Gesetze der Kommunikation im öffentlichen digitalen Raum kennen und beherrschen lernen. Und dies, ohne ihre persönliche Tonlage zu verlieren. Es geht also nicht darum, aus Expert*innen eine Art Fachjournalist für Corporate-Kanäle zu machen. Ziel muss es sein, sie zu einer freien und sicheren Nutzung ihrer Stimme zu ermächtigen.

Unterstützung beim Content-Handwerk

Was den Umgang mit den digitalen Medien betrifft: In der Regel verpflichten Unternehmen nicht irgendwelche x-beliebigen Mitarbeiter*innen als Corporate Influencer. In den meisten Fällen werden Corporate-Influencer diejenigen, die bereits über eine Affinität zu den betreffenden Social-Kanälen verfügen. Sie wissen also in der Regel schon, wie die Plattform und ihre Nutzer ticken. Die Unterstützung kann also auf Fortgeschrittene zugeschnitten werden und beispielsweise umfassen:

  • Schulungen zu Formaten, Algorithmen, Tools und Profiloptimierungen: Gerade Nutzer*innen, die bereits aktiv sind, werden sich auf jede Möglichkeit stürzen, wie sie besser werden können.
  • Anregungen und Anbieten von aktuellen Themen: Regelmäßige Angebote seitens der Profis aus der Kommunikation können hier zu mehr Kontinuität und Konsistenz motivieren.
  • Kreative Unterstützung: Bereitstellung von professionell gestalteten Visuals, also Bildern und Videos bzw. Unterstützung beim Erstellen.
  • Prozesssteuerung: Der XXL-Support schließt eine persönliche Content-Strategie mit Zielen, Botschaften, Redaktionskalender und Redaktionssitzung mit ein.
  • Redaktioneller Stand-by-Support: Die Kommunikationsabteilung dient als Qualitäts-Backup an, das berät und die Inhalte der Corporate-Influencer mit feinem Kamm auf Stil und Botschaft durchkämmt (ohne zu zensieren).

 

Wie geht persönlicher Content?

Bunter Vogelkopf
Besseres Content-Marketing: Guter Content hat Persönlichkeit – Photo by John Cobb on Unsplash

Der schwierigere Teil besteht jedoch darin, die persönliche Stimme des Corporate-Influencers zu finden oder zu bewahren und zur Geltung zu bringen. Hier geht es um die eigentliche Kernfrage, wie glaubwürdiger, weil persönlicher Content überhaupt aussieht und mit welchen Mitteln man ihn gestalten kann. Hierzu zwei Best-Practices.

1. Originäre Gedanken statt Allgemeinwissen

Wer seine eigene Stimme auf den Online-Markt tragen will, der sollte etwas zu sagen haben. Die Beherrschung der Plattformen ist daher nur die Startrampe für das Eigentliche: Informationen und Wissen, die noch nicht zum Allgemeingut zählen, auf ein Interesse stoßen und daher der Mitteilung wert sind. Kollegen, Kunden, „Stakeholder“, Menschen auf dem Markt haben einen potenziellen Nutzen von diesem Wissen. Das ist das ursprüngliche Wertversprechen von Content-Marketing.

Doch woher kommt das Wissen und wie unterscheidet es sich vom Allgemeingut, das potenziell jedem zugänglich ist (und zu dem es im Content-Marketing-Zeitalter sicher schon schockierend viel Content gibt)?

Es gibt einen bemerkenswerten Ausspruch des Schriftstellers und Journalisten Ludwig Börne (1786-1837):

„Nehmt einige Bogen Papier und schreibt drei Tage hintereinander ohne Falsch und Heuchelei alles nieder, was euch durch den Kopf geht…und nach Verlauf der drei Tage werdet ihr vor Verwunderung, was ihr für neue, unerhörte Gedanken gehabt, ganz außer euch kommen.“

Schriftsteller Ludwig Börne
Ludwig Börne wusste, wie Content-Creators zu originellen Gedanken kommen. Bild: Moritz Daniel Oppenheim 1827 via Wikipedia

Das soll kein Aufruf zum automatischen Schreiben sein, sondern ein Hinweis darauf, dass in unserem spontanen Denken sehr viel mehr Originäres versteckt ist, als wir uns zutrauen. Ein Mensch, der sich sein Berufsleben lang professionell mit Software (oder Papiermaschinen oder Soundsystemen oder Führungsfragen) beschäftigt, knüpft neuronale Verbindungen zum Wissensschatz seiner Expertendomäne, wie es sie so in keinem anderen Gehirn gibt. Einiges davon hat sicher das Potenzial, auch anderen zu helfen. Dazu muss es „nur“ festgehalten und in eine Form gebracht werden.

Ein Weg, zu wertvollen, persönlichen Inhalten zu gelangen, besteht also darin, sich selbst beim professionellen Denken zu beobachten und interessante Funde zu sammeln. So kann ein Reservoir an eigenen Stoffen für originäre persönliche Inhalte entstehen. Kommunikationsabteilungen können helfen, diese Quelle zu erschließen, indem sie gemeinsam mit dem Corporate-Influencer seine oder ihre ureigene Themenwelt kartografieren und strukturieren. Wir haben hier beispielsweise sehr gute Erfahrungen mit Human-Brand-Sheets gemacht, in denen die Themen erfasst sind, für die die Corporate Influencer „brennen.“

2. Erlebnisse statt Aufsätze

Inhalte von Marken auf Corporate-Accounts (auf LinkedIn zum Beispiel) haben einen entscheidenden Nachteil gegenüber persönlichen Accounts: Sie können schwer „Ich“ sagen und von eigenen Erlebnissen, eigenen Beobachtungen und Standpunkten erzählen. Eigene Erlebnisse sind aber eigentlich das, was man auf einer Social-Plattform als Storytelling bezeichnen kann. Hier kommen sich Offline- und Online-Markt wieder ganz nah: Auf dem Markt wird dem Erzähler, der Erzählerin Aufmerksamkeit geschenkt, der oder die eine interessante Erfahrung zum Besten geben kann.

Daher ist es wichtig, den Erlebnischarakter in den Inhalten auch erkennbar zu machen. Dieser Beitrag von Daniel Unkelhäußer, CMO DACH bei IBM, beispielsweise lebt ganz vom persönlichen Erlebnis des Schreibers:

LinkedIn Post mit Bild

Der ganze Post scheint unter dem unmittelbaren Eindruck des Erlebnisses geschrieben worden zu sein. Und ganz nebenbei nehmen wir auch nicht wenig Brand-Messaging mit – merken es aber kaum, weil uns die persönliche Stimme, enthusiasmiert von der Erfahrung, einfach packt und mitnimmt.

Nur hier bitte richtig verstehen: Private Erlebnisse – sportliche Betätigungen, Retreat-Erfahrungen, Team-Grillfeste etc. – sollten sparsam und wenn dann möglichst als Aufhänger für Substanzielleres verwendet werden.

In der Stimme schwingt die Anziehungskraft

Ich bin Vielleser und als solcher geht es mir, wie den meisten anderen Leser*innen: Es gibt einfach zu viele Bücher, die ich lesen möchte. Und weil ich nicht alle lesen kann, muss ich eine Auswahl treffen. Ganz wesentlich ist bei dieser Entscheidung, ob mir die Stimme einer Autorin, eines Autors gefällt, die in dem Text mitschwingt. In den allermeisten Fällen hängt es von dieser Stimme ab, ob ich ein Buch weiterlese oder zuklappe. Ich glaube, die Stimme ist das eigentliche Medium der Anziehungskraft bei der Lektüre.

Ich denke, bei den Inhalten von Corporate-Influencern ist es ähnlich: Wem es gelingt, Interessantes, Nützliches, Unterhaltsames in einer originellen, persönlichen, ansprechenden Tonlage rüberzubringen, ohne dabei zu leise oder zu laut zu werden, der erzielt Resonanz, mit dem- oder derjenigen werden sich die Menschen gerne auf ein Gespräch einlassen. Und das ist sicher eine der wirkungsvollsten Arten, wie Marken ihre Anziehungskraft entfalten können.

Written by
Jörg Lenuweit
Content Strategist, Archetype