"Redet einfach so mit den Leuten, wie ihr möchtet, dass mit euch gesprochen wird“: Interview mit Dominique de Marné, Mental-Health-Advocate und Gründerin des Mental-Health-Cafés BERG & MENTAL

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Archetype Blog

Wie können wir alle offener über Mental Health sprechen, ob im privaten oder im beruflichen Umfeld? Und wie können Unternehmen eine positive Kommunikationskultur unterstützen, damit die mentale Gesundheit auch im Unternehmensalltag ganz normaler Gesprächsstoff werden kann? Wir haben dazu mit Dominique de Marné, Gründerin des Mental-HealthCafés BERG & MENTAL in München, gesprochen.

Unser Gespräch und unser Treffen hat vor der aktuellen Situation mit Corona stattgefunden. Gerade in der jetzigen Zeit, in der viele noch im Home Office sind, ist es besonders wichtig, sich um sich selbst und um die eigene mentale Gesundheit zu kümmern. Dominique hat dazu einen aktuelle Blogpost verfasst, in dem sie Tipps für diese Situation gibt. Dazu gehört etwa die Schaffung von eigenen Strukturen und Routinen, sich Zeit für die eigenen Gedanken und Gefühle zu nehmen, und sich gerade jetzt besonders auch um das körperliche Wohlbefinden zu kümmern und sich etwa an der frischen Luft zu bewegen. Auch empfiehlt Dominique, unbedingt weiterhin im Kontakt mit Freundinnen und Freunden zu halten — auch wenn es digital ist. Und hier ist unser Interview mit Dominique:

Dominique, man könnte dich als Aktivistin für mentale Gesundheit bezeichnen. Du sprichst über das Thema an Schulen und in Unternehmen, und du schreibst in deinem Blog „Mental Health Crowd“ und in deinem Buch auch über deine persönlichen Erfahrungen mit diesem Thema. Vor kurzem hast du gemeinsam mit Lasse Münstermann das Mental-Health-Cafe BERG & MENTAL in München eröffnet. Wir sitzen hier gerade an einem super Sonnenplatz im Café. Auf der Theke stehen unter anderem rote und grüne Fähnchen, die sich die Gäste auf den Tisch stellen können. Was hat es damit auf sich?

Diese Fähnchen sollen unseren Gästen helfen, miteinander ins Gespräch zu kommen, wenn sie möchten. Grün bedeutet: Ich möchte mich gern unterhalten. Rot hingegen heißt: Ich möchte momentan lieber meine Ruhe. Warum sich jemand welche Fahne auf den Tisch stellt, ist allerdings egal — es kann sein, dass mir nach rot ist, weil ich einen schlechten Tag habe, oder weil ich einfach in Ruhe arbeiten möchte.

Warum ist Kommunikation generell so wichtig für die mentale Gesundheit?

Ich kann aus eigener Erfahrung sagen: Ich konnte erst etwas verändern, als ich angefangen habe, mich mitzuteilen. Dabei kann man sich auf vielen verschiedenen Arten mitteilen: Als ich erfahren habe, dass ich an Depressionen, Alkoholabhängigkeit und Borderline leide, konnte ich auch nicht gleich darüber sprechen. Für mich war es aber sehr wichtig, in meinem Blog darüber zu schreiben, und mich so mit den Aspekten meiner Krankheit auseinanderzusetzen. Durchs Schreiben habe ich erstmal alles herausgebracht. Erst dann konnte ich auch mit meiner Familie darüber sprechen. Man kann aber auch in Form von Musik, Tanz , Fotos kommunizieren — es gibt viele Möglichkeiten. Wenn man miteinander kommuniziert, sortiert man gleichzeitig Sachen für sich selbst. Deshalb helfen Gespräche. Darüber sprechen bringt jedoch wenig, wenn keine Resonanz kommt oder das Gegenüber nicht richtig zuhört.

Auch im BERG & MENTAL ist Kommunikation ein wichtiger Aspekt, oder? Was steckt hinter dem Konzept von BERG& MENTAL?

Das BERG & MENTAL ist ein Ort für alle die sagen „Ja, Mental Health ist ein Thema, und ist (mir) wichtig.“ Ob man selber schon Erfahrungen damit gemacht hat, ob direkt oder als Angehörige, privat oder beruflich. Es gibt zwar viele andere niedrigschwellige Angebote, aber da geht man nicht einfach mal so hin. Wir dagegen wollen das Thema mentale Gesundheit in die Mitte der Gesellschaft bringen und sichtbar machen.

Und das meine ich auch ganz konkret: Wir sind sehr zentral in München zu finden und haben große, einladende Fenster. Das zeigt schon von außen: Hier kann man offen und ehrlich über alles reden, wenn man möchte. Ganz wichtig dabei für uns: Über unsere Themen spricht man lieber in einem schönen Raum, der richtig angenehm ist. Deshalb haben wir auch viel Liebe und Arbeit in die Einrichtung und das kulinarische Angebot von BERG & MENTAL gesteckt, damit sich die Gäste wohlfühlen. Darüber hinaus bieten wir hier auch regelmäßige Workshops mit vielen Themen rund um die mentale Gesundheit. Was wir allerdings nicht sind: Eine Anlaufstelle für Menschen in akuten Krisen. Dafür gibt es andere, professionelle Einrichtungen.

Dominique von BERG und MENTAL und Birgit Heinold, Managing Director von Archetype, vor einem Whiteboard, einem Geschenk von Archetype an BERG und MENTAL

Du sprichst von mentaler Gesundheit, nicht von Erkrankung. Warum ist dir diese Unterscheidung so wichtig?

Leider wird mit psychischer Gesundheit in unserer Gesellschaft indirekt oft sofort psychische Krankheit verbunden — aber das ist nur ein kleiner Teil. Mental Health fängt nicht erst da an, wo eine Diagnose gestellt wird. Wir alle haben eine Psyche, um die wir uns jeden Tag kümmern, für die wir etwas tun können, damit sie fit ist.

Welche Art von Kommunikation unterstützt und fördert deiner Erfahrung nach die mentale Gesundheit?

Leider tendieren wir heutzutage dazu, uns mehr am Außen als am Innen zu orientieren. Also, mehr an dem, was andere über uns denken (könnten), als wie wir uns dabei fühlen. Man kann auch bei sich selbst anfangen und hinterfragen, warum wir andere Menschen so schnell be- und vielleicht auch verurteilen, zum Beispiel anhand ihres Verhaltens oder ihrer Kleidung. Leben und leben lassen — dieser alte Spruch gefällt mir sehr gut. Wenn wir dieses Bewerten etwas minimieren können, machen wir Platz für Neues, für offene Gespräche und für etwas mehr Kindness im Alltag.

Du bist ja auch auf Instagram und Facebook aktiv und betreibst gemeinsam mit Anke Glaßmeyer euren Podcast „Die Psychotanten“. Über welche Themen sprecht ihr in eurem Podcast, und welche Resonanz erhaltet von euren Hörer*innen und Followern?

Mit unserem Podcast wollen wir die Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen voranbringen und sprechen deshalb ganz offen darüber. Außerdem räumen wir mit Vorurteilen auf, setzen uns für Prävention ein und erklären Diagnose und Therapieansätze, zum Beispiel für Depressionen, Essstörung oder Borderline. Dabei ist uns aber auch wichtig, dass der Humor nicht zu kurz kommt.

Die Kommentare und Reaktionen, die wir erhalten, sind unfassbar positiv. Eben weil wir nicht nur, aber auch, aus der Theorie sprechen, sondern auch von unseren eigenen Erfahrungen. Das alles eingebettet in ein lockeres Gespräch zeigt den Hörerinnen und Hörern, dass man eben auch ganz normal auch über diese Themen reden kann. Sie werden unterhalten und lernen aber gleichzeitig noch was dabei.

Wie sollte eine Kommunikationskultur im Arbeitsumfeld aussehen, damit sie positive Auswirkungen auf die Mitarbeiter*innen und deren mentale Gesundheit hat?

Der sprichwörtliche Flurfunk trägt jedenfalls meist nicht zu einer positiven Kommunikationskultur bei. Leben und Leben lassen statt Lästerkultur gilt auch im Unternehmen. Zufriedene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lästern weniger. Deshalb sollten Vorgesetze regelmäßig den Kontakt zu ihrem Team halten. Bei gravierenden Problemen wie etwa Mobbing gibt es Experten, die Unternehmen unterstützen können.

Eine positive Kommunikationskultur im Unternehmen hat das Ziel, dass sich alle wohlfühlen: Statt sich gegenseitig permanent zu bewerten oder zu vergleichen, ist Respekt und Akzeptanz wichtig — egal, ob ich mit dem Kantinenangestellten, dem Chef oder Chefin rede. Aber eigentlich ist das gar nicht so schwer: Redet einfach so mit den Leuten, wie ihr selbst möchtet, dass mit euch gesprochen wird. Wenn jemand mit mir unfair umgeht, dann gebe ich das auch weiter. Respektiert, wenn der andere mal gerade keine Zeit hat. Anstatt jemanden anzublaffen: „Warum hast du meine E-Mail nicht beantwortet“, kann man auch nett nachfragen. Wir wissen schließlich nicht, ob der Kollege oder die Kollegin vielleicht etwas nicht verstanden oder einfach viel zu tun oder gerade ein ganz anderes Problem hat.

Autorin Dominique zeigt uns ihr Buch nach unserem Gespräch

Und wie können Unternehmen die mentale Gesundheit ihrer Mitarbeiter*innen aktiv fördern?

Zunächst einmal: Mentale Gesundheit beinhaltet wesentlich mehr, als viele denken: Von der Burn-out-Prophylaxe, über faire Umgangsformen und Zeitmanagement — all dies trägt zum mentalen Wohlbefinden von Arbeitnehmern bei.

Auch Arbeitszeiten sind etwa ein wichtiges Thema: Sie sollten nicht zu lang sein, und möglichst flexibel, so dass jeder seinen eigenen Rhythmus finden kann. Menschen sind außerdem nicht für Großraumbüros gemacht. Manchmal geht es nicht anders, dann sollten aber zumindest Ruheräume geschaffen werden. Auch regelmäßige Pausen, ein gesundes Essensangebot und Stehschreibtische tragen zum Wohlbefinden und der mentalen — und physischen — Gesundheit bei. In vielen Firmen kommt einmal im Monat der Masseur vorbei — wie wär es denn, wenn einmal im Monat auch eine Therapeutin vorbeikäme, mit der sich Mitarbeiter bei Interesse vertraulich unterhalten könnten?

Darüber hinaus sollte es Fortbildungen und Workshops für Vorgesetzte und Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen geben, etwa zu achtsamkeitsbasiertem Führen. Am besten ist, die Mitarbeiter direkt zu fragen, was sie wollen und was ihnen wichtig ist. Nur einen „Mental Health Day“ zu veranstalten reicht nicht — das Thema sollte immer mitgedacht werden.

Was würdest du jemanden raten, der über seine eigene mentale Gesundheit in seinem Arbeitsumfeld sprechen möchte?

Da gibt es keine Universallösung, jedes Unternehmen ist anders. Und jeder Betroffene auch: Manche wollen ihre Erkrankung gar nicht in der Arbeit thematisieren. Wenn es im privaten Umfeld sowieso schon oft Thema ist, darf ich in der Arbeit auch mal ohne mein Problem sein. Das kann auch total gut tun.

Aber wenn man sich verstellen muss, dann sollte man sich überlegen: Es kann gut sein, dass die Kollegin oder der Kollege zwei Bürotische weiter auch eine psychische Belastung oder vielleicht sogar Erkrankung von sich oder aus dem Umfeld kennt, und selbst der Chef oder Chefin könnten betroffen sein. Das ist nach der Statistik gar nicht so unwahrscheinlich.

Und ich empfehle, sich selbst die Frage zu stellen: Was würde ich denn mache, wenn ich körperlich krank wäre? Das würde ich doch wahrscheinlich auch erzählen. Und auch eine psychische Krankheit ist schließlich keine Schwäche, die ich selbst verschuldet habe, sondern schlicht und einfach eine Krankheit. Der Kollege oder die Kollegin, der sich beim Skifahren ein Bein bricht, bekommt Blumen und Schokolade. Aber wenn jemand mit Angststörung im Krankenhaus liegt, gibt es meist keine Genesungskarte. Deshalb empfehle ich, in solchen Situationen offen zu sein und etwa zu den Kollegen zu sagen: Ihr habt vielleicht schon Gerüchte gehört. Wenn ihr Fragen habt, sprecht mich gern direkt an.

Viele haben Angst, dass man sofort den Job verliert, wenn man psychisch erkrankt ist. Das ist meist nicht die Realität. Das kann auch ganz anders und viel positiver ablaufen. Es gibt viele verständnisvolle, tolle Chefs und Kolleginnen und Kollegen. Und man hat als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer ja auch gewisse Rechte in solchen Situationen.

Und wie können Kolleg*innen und Vorgesetzte in einem solchen Gespräch gut reagieren?

Ich empfehle für beide Seiten, möglichst offen zu kommunizieren, nichts schönreden aber auch keine Katastrophen an die Wand zu malen. Bleibt stattdessen sachlich, seid unterstützend und ehrlich. Und gebt gern zu, wenn ihr gerade nicht wisst, wie ihr darauf reagieren sollt. Nicht gleich mit Lösungen und Ratschlägen kommen, sondern ruhig sagen: Ich weiß gerade nicht, was ich sagen soll, aber ich unterstütze dich, soweit ich kann.

Du hältst selbst viele Vorträge an Schulen, Universitäten und Firmen. Was machst du da genau, und was sind deine nächsten Projekte?

Ich gehe zum Beispiel an Grundschulen, Berufsschulen oder Gymnasien und erzähle meine Geschichte, und die Kids dürfen Fragen stellen. Teilweise ist es das erste Mal, dass die Schülerinnen und Schüler über solche Themen sprechen — was bei Berufsschülern Anfang 20 schon etwas traurig ist. Junge Menschen sagen oft, es mache ihnen Mut, die Geschichte von jemanden zu hören, der das ganze schon durchgemacht hat.

Mit der Uni München starten wir im Herbst eine Aktionswoche, und auch mit Unternehmen arbeiten wir zusammen. Bei einem großen Unternehmen dürfen wir etwa Teil einer großen Mental-Health-Kampagne sein, darüber freuen wir uns sehr. Letztes Jahr war ich ja auch bei euch bei Archetype mit meinem Vortrag zu Gast und wir hatten sehr gute Gespräche und Diskussionen miteinander.

Im Kontext mit Unternehmen ist uns wichtig, dass wir nicht als Feigenblatt dienen. Sondern dass wir sehen, dass sich das Unternehmen wirklich und nachhaltig Gedanken über das Thema macht. Gerade bei Mental Health gibt es auch keine schnellen Universallösungen — die Mitarbeiter werden nicht in einem Workshop von 2 Stunden lernen, nie wieder gestresst zu sein. Das kann ein Impuls von vielen sein. Und jedes Unternehmen ist anders, hat eine andere Geschichte, andere Bedingungen. Wir schauen individuell, wo das Team, die Abteilung, die Organisation gerade steht und was erste Schritte sein können.

Dominique, vielen Dank für das Gespräch!

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