Storytelling mit Instagram-Storys

Written by
Jörg Lenuweit
Principal Consultant und Content Strategist

Ich bin ein Digital Immigrant und vielleicht daher naturgemäß etwas langsamer, was den Umgang und die Gewöhnung an neue Formate betrifft. Als das Story-Format aufkam, hat mich das erst mal geärgert: Ein Bild oder ein kleines Video, dazu ein Wort und eine Handvoll Emoticons — warum musste man das jetzt unbedingt Story nennen. Bildchen, Katzenvideos, sogar die Agenda für ein Meeting — alles heißt heute gleich Story. Dabei hat vieles davon nicht wirklich etwas mit einer Geschichte zu tun.

Denn klassisch hat eine Geschichte ganz bestimmte Elemente, die sie eigentlich erst zu einer “Story” machen. Dazu zählen etwa Protagonisten, Konflikte, Entwicklungen auf die Lösung des Konflikts hin, Gegenspieler, Happy End oder Moral. Eine Instagram-Storys — vor allem die frühen Storys — haben in er Regel kaum etwas davon. Trotzdem haben die Erfinder dieses neue Formats ganz dreist Story genannt.

Anderseits, warum eigentlich? Beim näheren Blick auf die Instagram-Story offenbaren sich doch einige wie ich finde sehr interessante Bezüge zum Thema Storytelling.

Bei Ephemeral Content — dazu zählt man diese Art Storys — geht es einmal mehr um die knappste Ressource des digitalen Zeitalters: die Aufmerksamkeit. Die Erfinder des Story-Formats haben einen kreativen Weg gefunden, dem unablässigen Content-Geprassel im Internet etwas entgegenzusetzen, und damit unsere Aufmerksamkeit zu fesseln — und zwar indem sie die Situation auf den ersten Blick sogar noch verschärfen. Storys verschwinden wieder, zwingen den Betrachter, ihnen nachzugehen, sonst sind sie verschwunden.

Das erinnert an die Ur-Situation des Storytelling: Das Lagerfeuer. Ohne Medien war die Versammlung am Lagerfeuer der wichtigste Kanal, um Geschichten zu hören. Die Geschichte am Lagerfeuer war das Ereignis des Tages, das man auf keinen Fall verpassen durfte. War man nicht zur Stelle, konnte man die Geschichten allenfalls noch aus zweiter Hand erfahren.

Dieses Hier-und-Jetzt des Storytellings wird mit den Instagram-Storys aufgenommen. Die Storys werden zu Ereignissen — mit Suchtfaktor übrigens, denn wenn man eine Story gesehen hat, dann folgt gleich noch eine hinterher, die man auch noch mitnimmt. Und die nächste. Und die nächste.

Was machen diese Storys eigentlich? Sie konstruieren einen emotionalen Moment, arrangiert oder spontan, bestehend aus Bildern, Emoticons, Symbolen und Videos, kurzen Texten, häufig nur Worten, und manchmal auch Sound. Das ganze komponiert zu einem kurzen Eindruck, der 15 Minuten anhält, was immerhin doppelt so lange ist, wie die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne im Internet reicht.

Der Stoff, aus dem dieses Storys gemacht sind, kommt meistens aus dem Alltag und besitzt eine gewisse emotionale Energie bzw. bekommt diese erst durch die die Anordnung. Oft planen das die Storyteller ganz bewusst; aber sehr häufig geschieht das ungeplant, sprunghaft, assoziativ. Die Storys der Spiegel-Kolumnistin Sybille Berg sind dafür ein gutes Beispiel.

Eine Story machen und posten ist mehr als ein Bild machen und posten. Eine Story ist erst dann eine Story — und das ist ein Gesetz des klassischen Storytellings — wenn sie mindestens von einer Veränderung erzählt. Das kann auch nur in einem Bild stattfinden, indem es die Phantasie des Betrachters in Gang setzt. Besser aber noch ist es, wenn diese Veränderung eine Entwicklung auf ein Ziel hin ist, bestenfalls auf eine Pointe.

Es ist ganz wesentlich die Form der Sequenz, die zum Storytelling einlädt, reizt, zwingt. Die Story beginnt meinetwegen mit einem Bild und wirft bei dem Macher sofort die Frage auf: Was könnte jetzt dazu passen? Die Plattform stellt dafür einen ganzen Werkzeugkasten bereit, mit dem man seine Story anreichern, erweitern, verschönern, polieren kann.

Dieser Werkzeugkasten weckt den Spieltrieb in uns. Da werden dann einzelne Details betont, herausgehoben, in den Mittelpunkt gerückt, umkreist, unterstrichen und mitunter zum Leuchten gebracht. Details sind im Storytelling sehr wichtig, denn Details sorgen für Authentizität und Prägnanz.

Instagram-Storys und Storytelling haben also auf den zweiten Blick doch sehr viel miteinander zu tun. Wie beim klassischen Storytelling geht es immer darum, etwas rüber zu bringen, etwas preiszugeben und etwas mitzuteilen, was man für mitteilenswert hält. Oft ist das banal, manchmal ganz interessant, oft witzig, selten ergreifend. So wie das Leben eben ist.

Dieser Post bezieht sich auf einen Beitrag im Rahmen unseres Future Talks, den wir im November veranstaltet hatten.

Written by
Jörg Lenuweit
Principal Consultant und Content Strategist